Am dritten Februarwochenende machten wir uns auf, um dem trostlosen Amsterdamer Wintertrott zu entfliehen und im sonnigen Rom die Canapa Mundi zu besuchen. Nach ein paar Verzögerungen bei der Abreise, einem unerwarteten Taxistreik und einigen fehlgeschlagenen Orientierungsversuchen auf Google Maps, schafften wir es endlich am Ort des Geschehens, am Stadtrand der italienischen Metropole, anzukommen. Die Veranstaltung zelebriert Cannabis-Kultur in all ihren Facetten – von Hanf–Lebensmitteln bis Sativa-Samen, von Stoner-Kunst bis Vaporizer, von Information bis Innovation. Die Messe findet dieses Jahr zum dritten Mal statt und liefert, sowohl in Italien wie auch international, einen grossen Beitrag zur Verbreitung eines bewussten und legalistischen Zugang zur magischen Marihuana-Pflanze.
Die Messe wurde, über einen Zeitraum von drei Tagen, von mehr als 15.000 Menschen besucht. Besucher aller Art waren vertreten, von leidenschaftlichen Alteingesessenen bis hin zu Cannabis-Interessierten. Für jeden war etwas dabei, da die grosse Vielfalt der Besucher sich auch in der grossen Vielfalt an Ständen widerspiegelte. Alles nur bedenkliche war zu finden, ob nun Hanf–Speisen oder etwa die Schwergewichtler der Cannabis-Samenbanken.
Wir nutzten die Gelegenheit, um mit zwei aktiven Mitgliedern der Cannabis-Gemeinschaft in Italien zu sprechen. Die beiden versuchen einen gesunden Zugang zu der Pflanze herzustellen, indem sie einen professionellen und doch prinzipientreuen Ansatz zu Geschäft und Information pflegen.
Enrica ist Redakteurin des Dolce Vita Magazine, Mario kommt vom 420 Italia Shop, einem der Organisatoren der Messe in Neapel.

J: Erzähl mir ein wenig über die Cannabis-Bewegung und die Geschichte der Pflanze in Italien.
E: Wir erleben gerade einen Moment, in dem die Menschen die Pflanze neu entdecken. Sie erkennen sowohl die Möglichkeit des erholungsorientierten Einsatzes, als auch ihren Wert für den industriellen Gebrauch. Dieses Wissen hat eine Generation übersprungen, denn die industrielle Verwertung der Hanfpflanze war, vor allem in den 50er und 60er Jahren, weit verbreitet. Durch das Interesse verschiedener Informationskanäle können wir nun eine wachsende Sympathie von Seiten der breiten Bevölkerung feststellen.
M: Trotz allem ist diese Angelegenheit noch immer ein heikles Thema. Unsere Arbeit wird jedoch vereinfacht durch die Tatsache, dass diese Erinnerung besteht und nun auf einer offenerer Weise weitergegeben wird. Für all jene, die sie kennen, ist die Hanfpflanze eine Pflanze der tausend Eigenschaften und viele fangen an, das zu erkennen.
J: In welche Richtung bewegt sich also die Branche?
M: Obwohl wir von einigem Fortschritt und Wachstum sprechen, kann man Italien nicht damit vergleichen, was – zum Beispiel – in den USA geschieht. In Amerika passierte der Umschwung jedoch von einem Schlag auf den anderen und wurde drastisch umgesetzt. Hier sehen wir einen langsameren, aber beständigen Prozess, der auf sozialer Entwicklung und Aufklärung basiert. Solange es in dieser Richtung weitergeht, wird es ein resoluter und integrierter Schritt voran werden.
J: Welche Bedeutung würdest Du dieser Art von Veranstaltungen zuschreiben?
E: Sie sind wichtige Bezugspunkte, die dabei geholfen haben eine Gemeinschaft aufzubauen, die richtigen Informationen zu verbreiten und dem Anliegen Bekanntheit und Verständlichkeit zu verleihen. Diese Bezugspunkte sind stabil und beständig und haben auch die Aufmerksamkeit der nationalen Medien auf sich gezogen. Deren Berichterstattung ist weniger hysterisch als früher und stärker auf Fakten aufgebaut. Interviews mit Ärzten, Experten, usw. Seit einigen Jahren wird Information regelmässiger, mitreissender und auch ernsthafter vermittelt und ist daher überzeugender.
M: Man kann es beispielsweise hier erkennen, mit all den schmackhaften Essensständen. Das Publikum wird vielschichtiger und hier können Menschen mit einer Welt in Berührung kommen, zu der sie anderwärtig keinen Zugang haben würden. Hier in Italien sind wir mit gutem Essen gesegnet und nun haben viele Unternehmen begonnen, für ihre Produkte Zutaten auf Hanfbasis zu verwenden. Als ernsthafter Bestandteil, nicht als Werbegag. Sie respektieren die Tradition und machen innovative Vorschläge.
J: Der Weg zu einer grossflächigen Akzeptanz und Legalisierung scheint noch immer in der Ferne zu liegen. Ich meine, nur als Beispiel, die Gefängnisse sind noch immer voll von Menschen, die Strafen für Delikte in Verbindung mit leichten Drogen absitzen....
M: Ja, Repression lässt deutlich werden, dass der Weg noch immer lang ist. Vor nur einigen Wochen sprang ein Teenager in einer kleinen Stadt in Ligurien aus dem Fenster, weil die Polizei sein Haus durchsuchte. Die Mutter hatte die Polizei gerufen, weil sie 10 Gramm Hash gefunden hatte. Viele Leben werden auf Grund der Engstirnigkeit und Unwissenheit der Menschen verschwendet.
E: Diese extremen Fälle passieren jedoch vorwiegend in den kleinen Dörfern, wo die soziale Kontrolle noch viel stärker ist und die Machtverhältnisse zwischen Polizei und Jugendlichen direkter sind.
J: Lasst uns noch mehr über die Zukunft reden. Was muss noch passieren, um den Weg für eine gesunde Cannabis-Kultur und Industrie zu ebnen?
M: Wie wir schon gesagt haben, Italien birgt in seinen Wurzeln das Wissen – und verfügt glücklicherweise auch über das richtige Wetter –, um vielfältigste Möglichkeiten der Hanf-Kultivierung zu eröffnen. Vor dem zweiten Weltkrieg waren wir, nach Russland, der zweitgrösste Produzent der industriellen Hanfpflanze. Sie wurde für Textilien, Lebensmittel, Kosmetik und vieles mehr verwendet....Um eine Vision für die Zukunft zu haben, müssen wir in der Vergangenheit graben.
E: Aus legaler Sicht betrachtet ist die Situation zum Stillstand gekommen. Eine anstrebenswerte Legalisierung ist momentan am Ende der Prioritätenliste der Politiker angesiedelt. Hier bewegt sich alles nur sehr langsam. Und dann gibt es immer Leute an der Macht, die moralische oder finanzielle Interessen vertreten, die sich gegen jede Art von Fortschritt stellen. Wir sprechen hier von der Kirche, der Mafia, den grossen Pharma-Lobbys....
J: Ist es für euch hier in Italien wichtig, die Geschehnisse in anderen Teilen der Welt zu verfolgen, oder denkt ihr, dass jeder Zusammenhang einzigartig ist und jeder seinen eigenen Weg finden muss?
M: Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass all jene, die sich politisch und vor Gericht für den Kampf um die Legalisierung einsetzen, ihr Wissen teilen und sich gegenseitig über ihre Schritte informieren. Welche Argumente haben die Anwälte verwendet, welcher Zugang hat eine bestimmte Art der Akzeptanz von Seiten der Bevölkerung bewirkt? Aber es ist natürlich unser Kampf, hier in Italien, und wir müssen ihn austragen. Es ist allerdings sehr schön, so viele internationale Besucher und Betriebe hier zu sehen. Es kreiert ein bestimmtes Gefühl der Solidarität.
J: Was denkt ihr, was das Verhältnis von Aktivismus und Geschäft auf diesem Gebiet ist?
E: Die Ethik ist immer unabdingbar. Dies ist noch immer ein Kampf und uns wird nichts einfach so als Geschenk überlassen werden. Ohne Kampagnen und Aktivismus im Hintergrund, würden all die gewerblichen Messen nicht existieren. Auf der anderen Seite hilft es unserem Anliegen auch, wenn es als legitime Quelle am Arbeitsmarkt erkannt wird. Mit unserem Magazin versuchen wir, dazu beizutragen, dass sachliche Informationen verbreitet und Momente der ehrlichen Debatte unterstützt werden.
J: Es war ein Vergnügen, mit euch zu sprechen und danke dafür, dass ihr ein wenig Licht auf die Situation hierzulande geworfen habt. Macht weiter so! Noch ein paar letzte Worte?
E: Lest Dolce Vita!
Autorin: Julia